Karl-Heinz Kraemer
Department of Political Science of South Asia, South Asia Institute, University of Heidelberg

Skandal um die Auslieferung tibetischer Flüchtlinge an China

In: Nepal Information, 91:19 (2003)

Nepal zeichnet sich dadurch aus, daß es nach dem tibetischen Aufstand gegen die chinesische Besatzungsmacht von 1959 Flüchtlingen in großer Zahl Aufnahme gewährt hat, womit sich das Land deutlich vom Nachbar-Himalayastaat Bhutan unterscheidet, obgleich die dortige Staatselite der tibetischen Kultur viel enger verbunden ist. Viele dieser Flüchtlinge sind inzwischen in die nepalische Gesellschaft integriert. Doch der Flüchtlingsstrom aus Tibet dauert mit wechselnder Intensität bis heute an.

Schon seit den sechziger Jahren ist es hin und wieder einmal vorgekommen, daß sich nepalische Regierungen politischem Druck aus China gebeugt und solche Flüchtlinge an die chinesischen Behörden ausgeliefert haben. Daran hat sich auch nach der Demokratisierung von 1990 leider nichts geändert. Der UNHCR, das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, unterhält seit Jahren ein Büro in Kathmandu, über welches normalerweise die Flüchtlinge aus Tibet ins indische Dharamsala, den Sitz der tibetischen Exilregierung, weitergeleitet werden.

Am 31.05.2003 geschah es wieder einmal, daß die nepalische Regierung 18 tibetische Flüchtlinge an China auslieferte, obgleich ein derartiges Verhalten ein klarer Verstoß gegen international anerkannte Menschenrechtsstatuten ist, die auch von Nepal unterzeichnet wurden. Die internationale Empörung über das Vorgehen der nepalischen Regierung war daher berechtigt. Insbesondere die Stellungnahmen der EU und der USA waren eindeutig und setzten die ohnehin an Legitimation mangelnde nepalische Regierung mächtig unter Druck.

Doch die sicherlich gut gemeinte, aber in ihrer Art völlig überzogene Reaktion der weltweit äußerst zahlreichen Sympathisanten Tibets traf das wirtschaftlich und politisch am Boden liegende Land an einer sehr empfindlichen Stelle, nämlich an der Basis der Bevölkerung. Unter anderem riefen namhafte amerikanische Reiseveranstalter zu einem Boykott des gerade erst wieder ein wenig genesenden Tourismus nach Nepal auf; die amerikanische Senatorin Feinstein zog ihren Antrag auf Handelsvergünstigungen für nepalische Bekleidungsexporteure zurück.

Inzwischen haben sich die Wogen ein wenig geglättet. Neu angekommene Flüchtlinge aus Tibet wurden wieder dem UNHCR übergeben. Einige der an die Chinesen ausgelieferten Flüchtlinge sind zwischenzeitlich freigelassen worden; hier wäre internationaler Druck auf China notwendig, aber der fällt wohl nicht so leicht wie jener auf Nepal. Der Aufruf zum Tourismusboykott wurde zurückgenommen, und die Senatorin Feinstein will nun doch ihren Antrag auf Importerleichterungen einbringen.

Es bleibt zu hoffen, daß zukünftige nepalische Regierungen aus dieser Episode endlich einmal ihre Lehre ziehen. Für ein gutes Verhältnis zu China bedarf es nicht der Auslieferung tibetischer Flüchtlinge. Diese war nur einer von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die in Nepal tagtäglich vorkommen und die zum Teil durch die Gesellschaftsordnung oder gar die Verfassung und nachgeordnete Gesetze gedeckt werden. Aber das alles sind in erster Linie innernepalische Probleme, und dafür interessiert sich ja leider international kaum jemand.


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